Im Oktober 2024 hat unser Herr Bürgermeister, Mag. Peter Eisenschenk, im Rahmen einer Heiligen Messe ein Glaubenszeugnis abgelegt. Dieses können Sie hier nachlesen:
Sehr geehrte Herr Pfarrer,
geschätzte Damen und Herren,
„Nun sag, wie hältst Du es mit der Religion?“, fragt Margarethe den Faust. Vor dieser Gretchenfrage gibt es kein Entkommen, will jemand auf Folgendes eine Antwort: Weshalb existiere ich überhaupt und wozu?
Ich werden daher heute auf folgende Punkte eingehen, soweit das in der kurzen Zeit möglich ist:
- Weshalb ich mich vor dem Tod nicht fürchte, aber vor dem Sterben schon eher.
- Was meine ich, wenn ich sage: Ich glaube an Gott.
- Warum man keineswegs verrückt ist, wenn man an etwas Unsichtbares glaubt. Oder: Weshalb ein rationales Glauben möglich ist
- Weshalb ich die Bibel schätzen gelernt habe.
Ich komme zum ersten Punkt, und damit zu jenem Ereignis, dem keiner entkommt – dem Tod. Oft entsteht bereits in frühen Lebensjahren eine Angst vor dem Tod. Für ein Kind ist es etwas Schreckliches und Bedrohliches, wenn beispielsweise eine Bezugsperson verstirbt. Aber auch Kinder, denen so ein Schicksalsschlag erspart bleibt, haben Fragen zum Tod, die nicht immer ideal beantwortet werden. Wer einem Kind beispielsweise verlegen sagt, dass der Tote bloß schläft, weckt erst recht das Misstrauen des Kindes und regt dessen Phantasie an, was an dem Tod so schlimm sein könnte.
Und als Draufgabe hat die Kirche, zumindest gegenüber meiner und früheren Generationen, ein strafendes anstatt eines barmherziges Gottesbild gepredigt. Uns wurde erzählt, dass schlimme Menschen in der Hölle brennen werden. Das war theologisch völlig unzulässig und ist heute erfreulicherweise verpönt.
Was ist nun am Tod so schlimm? Könnten wir ihn nicht sehr gelassen sehen? Wir verwandeln uns in Materie und bleiben dem Universum erhalten, ebenso die Spuren, die wir hinterlassen. Es ist ein Kreislauf, nichts ist verloren. Wir kommen dort hin, wo wir schon einmal waren. In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne den Schweizer Psychiater und Forscher Bertrand Piccard: „Wer denkt, dass er aus dem nirgendwo kommt und ins nirgendwo geht und das Ziel des Lebens darin besteht, reich und glücklich zu sein, den bringt die kleinste Krise um. Wenn man allerdings versteht, dass man von irgendwo herkommt, ohne zu wissen woher, und irgendwo geht, ohne zu wissen wohin, und dass der Sinn des Lebens darin besteht, sich weiterzuentwickeln, und sich über mehr Weisheit, Güte, Mitgefühl und positives Lebensenergie einzubringen, dann eröffnet sich ein Sinn hinter allen religiösen Strömungen und Philosophien.“
Es gibt also Gründe, keine Angst vor dem Tod zu haben, anders sieht das beim Sterben aus. Denn Sterben kann körperliche Schmerzen und völlige Hilfslosigkeit bedeuten. Auf jeden Fall bedeutet sterben, das Verlassen und die Trennung von den Menschen, die man liebt. Dieses Loslassen ist wohl für den Sterbenden als auch für die Hinterbliebenen das Schlimmste und das Schmerzlichste.
Nun wieder zurück zum Tod: Die Bibel lehrt uns, dass er nicht die oberste Gottheit der Menschen ist.
Das ständige angstvolles Schielen auf den Tod lähmt. Sinnvoll ist hingegen, eine konstruktive Auseinandersetzung mit ihm. Auch Psychologen berichten, dass Menschen, die sich mit dem Tod beschäftigen oder ihm gar nahe waren, eine höhere Lebensqualität und Lebensfreude haben. Denn der Tod lädt ein, die Zeit mit Menschen, die ich liebe oder mag, bewusst zu nutzen.
Damit komme ich zum zweiten Punkt: Ja, ich glaube an Gott. Aber was meine ich mit Gott? Daher nun etwas präziser formuliert: Ich glaube an das Geheimnis, das uns unbestritten umgibt und dieses Geheimnis nenne ich Gott. Mich berührt diese Formulierung jedes Mal, wenn ich sie ausspreche. Sie ist der Türöffner für meine Spiritualität und letztendlich für meinen Glauben an Gott.
Für mich ist dabei ganz zentral, dass ich mir kein Bild oder von Gott oder von dem, was nach dem Tod folgen könnte, mache. Nur dadurch halte ich mir dieses Geheimnis offen, denn Bilder provozieren in der Sekunde den Gedanken, dass dieses völlig falsch sein könnte. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die Bilder hier in dieser Kirche sehr schön, sie berühren mich auch, aber ich weiß, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, sich ein Bild von etwas zu machen, das jenseits aller Vorstellung liegt. In der Bibel steht in diesem Zusammenhang: Du sollst Dir von Gott kein Bild machen. Ich ergänze da für mich persönlich: Und außerdem kannst Du es gar nicht.
Dritter Punkt: Wie Sie bereits gemerkt haben, ist mein Glauben, einer der nach Einsicht sucht. Ein Glaube frei von jeder Vernunft führt zu Fundamentalismus, den es heute nach wie vor gibt, und zwar nicht nur in Teilen der islamischen Welt. Denken Sie zum Beispiel an die Evangelikalen in den USA, die einen maßgeblichen Anteil am Wahlsieg von Herrn Trump im Jahr 2016 hatten.
Die Frage, ob man vernünftig glauben kann, bejahe ich für mich ganz klar. Die Existenz Gottes ist nicht beweisbar, aber genauso ist bis jetzt niemanden gelungen, seine Existenz zu widerlegen. Daher ist das Glauben genauso wie das Nichtglauben rational und keinesfalls etwas Verrücktes. Ganz im Gegenteil: Das uns umgebende Geheimnis, von dem ich so gern spreche, wird ja sogar in der Sprache Natur, also die so logische Mathematik, benannt - nämlich mit dem Begriff „unendlich“.
Ich habe daher die berechtigte Hoffnung, dass, wie es der deutsche Philosoph Holm Tetens sagt, „unsere Erfahrungswelt und die besondere Stellung des Menschen in ihr am Ende Teil einer insgesamt vernünftig eingerichtet Wirklichkeit ist“. Daraus folgt für mich, dass jede und jeder von uns eine Mission in dieser Welt hat. So wie es einst Graf Dürckheim: „Es steht der Mensch in einem doppelten Auftrag: die Welt zu gestalten im Werk und zu reifen auf dem inneren Weg.“ Und unser Auftraggeber ist eben das Geheimnis, das uns umgibt.
Ist es nicht so, dann wäre alles was wir tun und unsere ganze Existenz absurd. Und das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Nochmals kurz zu Holm Tetens. Von ihm stammt auch ein interessanter Ansatz, um die Theodizee-Frage zu entkräften. Also die Frage, warum ein gütiger Gott so viel Leid in dieser Welt zulässt. Tetens stellt nämlich die Gegenfrage: Kann es gute Gründe für Gott geben, Leid zuzulassen, obwohl er es verhindern könnte und es auch nicht will. Diese Frage bürdet dem Atheisten eine Beweislast auf.
Nun komme ich zum vierten und letzten Punkt: Im Laufe meines Lebens wurde ich auch immer mehr Texte der Bibel aufmerksam, die mein Vertrauen in diese außergewöhnliche Schrift sehr stark gesteigert haben. Vor allem hat es mich immer wieder verblüfft, welche psychologischen Erkenntnisse von heute in diesem sehr alten Buch verborgen sind. Ich hatte dafür gute Lehrer wie meinen Freund Dr. Kurt Appel, er ist Tullner und Universitätsprofessor für Fundamentaltheologie in Wien oder der Benediktinerpater Anselm Grün. Ich behaupte, dass kein Laie allein in der Lage ist, die Bilder der Bibel zu übersetzen.
Und es braucht diese Übersetzung fast immer. Nicht bei allen Bibelstellen ist das so eindeutig, wie etwas im Schöpfungsbericht, in dem steht, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Das kommt allen sofort komisch vor.
Schwieriger ist das bei mein Lieblingsbeispiel: Sie kennen alle die Stelle aus dem Johannesevangelium: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Das bedeutet nicht, was viele glauben. Dann man muss wissen, dass der Schlag auf die rechte Backe im Judentum symbolisch bedeutet, dass jemand versucht, dem anderen die Würde zu rauben. Kurzum: Dies Bibelstelle bedeutet also, dass Dir niemand Deine Würde rauben kann, deshalb kannst ihm ruhig auch die andere Backe hinhalten. Wenn man das nun weiß, lässt sich ohne Zweifel sagen: Das ist doch eine tolle Aussage!
Und wir lernen daraus, dass der jüdische Theologe Pinchas Lapide recht hat, wenn er sagt: „Man kann die Bibel eben wörtlich nehmen oder ernst! Beides zusammen verträgt sich sehr schlecht."
Die Bibel lädt uns ein wie die moderne Psychologie ein, über unser Handeln nachzudenken, damit wir uns selbst kennenlernen und um letztendlich unseren eigenen Wert, die eigene Würde und unsere Einmaligkeit zu erkenn. Das daraus entstehende Selbstwertgefühl macht uns zu souveränen Menschen, frei von den Erwartungen anderer und auch frei von Neid.
Die Bibel ist die Grundlage der christlichen Ethik. Sie vermittelt uns die so wichtigen Bilder von Liebe, Freundschaft und Empathie. Der empathische Gott ist der Zellkern des Christentums. Die in der Bibel sehr selten erwähnte Hölle, ist bloß ein Zeichen, dass Gott Gerechtigkeit sucht, wie er diese ausübt, das lässt die Bibel offen. Oder anders ausgedrückt: Weil Gott gerecht ist, gibt es die Hölle. Weil Gott barmherzig ist, ist sie jedoch leer.
Glauben heißt hoffen. Glauben heißt für auch handeln im Sinne der christlichen Ethik, zum Beispiel mit Ihnen gemeinsam für das gelingende Miteinander in Tulln.
Und schließlich: Der Glaube ist kein fester Besitz, sondern er sinkt und steigt wie der Wasserstand der Donau.
Vielen Dank.